Ein bisschen Wirtschaftswissenschaft am frühen Morgen, denn für angewandte Ökonomie ist immer die richtige Zeit. Thema heute: antizyklischer Einkauf.
Zwei Worte, die man oft einfach so daher sagt. Wie oft unterhält man sich mit dem örtlichen Pfarrer, mit dem Hauspersonal, mit dem CEO eines Großkonzerns, mit dem Kind auf dem Weg zur Kita und im Gespräch fällt wieder “antizyklischer Einkauf”. Wer kennt das nicht, aber die wahre Bedeutung verinnerlicht haben die wenigsten (ich meine auch Dich, Sören-Kay! So, raus jetzt und viel Spaß in der Kita). Ein kleines Beispiel:
Der vergangene Winter hatte durchaus Momente, die man mit Winter in Verbindung bringt – so zum Beispiel den einen oder anderen sehr kalten Tag und auch manche Nacht war ungewohnt eisig. In einer solchen Nacht wurde zum gemütlichen Glühweinumtrunk nebst Bratwurstverköstigung und Süßbackwerkbefüllung geladen. Es gibt gute und nicht so gute Glühweine, der dort gereichte zählte eindeutig zur ersten Kategorie. Es war ein sogenannter “Winterglühwein”, es tanzte also ein sehr dicker Winzer bei Vollmond betrunken auf einem Berg Trauben, zerkaute dabei diverse Gewürze, die aus seinem Mund in die zertrampelten Tauben bröselten und unten aus dem Bottich rann, Tropfen für Tropfen, edelster Winzerglühwein. Qualität, die man schmeckt.
Nun kann man nicht die ganze Zeit nur Glühwein trinken, sonst ist der Abend schnell zu Ende, man erbricht sich (trotz hochwertigem Winzerglühwein) in die Büsche und das wäre nicht gut. Deshalb gab es auch nichtalkoholische ALternativen, so zum Beispiel einen Bratapfel-Tee. Das klingt ähnlich edel wie Winterglühwein, ist aber am Ende ein aufgekochter Teebeutel eines namhaften Herstellers. Edel hin oder her: geschmeckt hat es ganz wunderbar: süß, klebrig und wenn man wusste, dass es nach Bratapfel schmecken sollte, schmeckte es zwar weiterhin nicht nach Bratapfel, aber gut. Ich hatte an dem Abend eine komplette Kanne von diesem Tee und war begeistert (und meine Nieren auch. Sie wurden sehr gut durchspült). Die Begeisterung hielt sogar bis zum nächsten Tag, weshalb ich beim Einkaufen ein Päckchen davon gekauft habe… plus ein paar andere aus dieser wundervollen Kollektion.
Die Tees haben so klangvolle Namen wie “Himmelszauber”, “Schneewunder”, “Lichtermeer” und “Wintermagie” und kommen in Geschmacksrichtungen wie Bratapfel (meine Einstiegsdroge), Spekulatius, Apfelstrudel, Kirsch-Marzipan und Zimtschnecke. Ich sabbere schon beim Schreiben.
Diese Sorten sind alle großartig. Durch die Bank. Jeder heiße Tropfen Wasser sollte stolz sein, wenn er auf einen solchen Teebeutel trifft. Der Geruch des ziehenden Tees zieht durch die Küche, es ist herrlich. Und das ist es weiterhin, auch wenn die Weihnachtszeit durch ist und auch der Winter in den letzten Zügen ist. Die ersten Frühblüher strecken schon keck die Blüten in die wärmende Sonne, kein Schnee weit und breit, statt Last Christmas plärrt jetzt Taylor Swift aus dem Radio. Und auch im Teeregal drängeln die Kräutertees von hinten, der gute alte Roiboos bringt sich in Stellung und macht sich bereit für seinen Einsatz, während die Wintertees mehr und mehr zur Seite gedrängt werden. Die Supermärkte sind herzlos, für sie gilt nur Profit, Profit, Profit. Wie es denn Wintertees dabei geht, ist ihnen egal. Da wird der Preis reduziert und wenn das auch nicht hilft, geht es zur Teeentsorgung (man möchte sich gar nicht vorstellen, was dort geschieht. Spiegel TV, wo bleibt der Bericht hierzu?). Der Zyklus des Wintertees scheint vorbei.
Oha… Zyklus… war das nicht was? Genau! Zyklus, antizyklisch. Da gibt es doch sicher einen Zusammenhang (Schade, dass Sören-Kay nicht da ist; das wäre auch für ihn wichtig zu hören) und ja: den gibt es! Nun schlägt die Stunde des antizyklischen Käufers, meine Stunde, es darf gespart werden. Die Bösartigkeit der Supermärkte, die (vermeintlich) abgelaufene Zeit von “Himmelszauber” und “Schneewunder”, der begrenzte Platz im Regal und die heranrückenden “Zitrusplantage”- und “Sommerregen”-Tees führen zu sinkenden Wintertee-Preisen, einem Großeinkauf meinerseits und einem gefüllten Vorratsschrank in meiner Küche. So funktioniert antizyklischer Einkauf.
Aber antizyklischer Einkauf macht nicht nur bei Wintertee Sinn. Wieso nicht mal im Hochsommer einen Abstecher ins Autohaus machen, um nach günstigen Winterreifen Ausschau zu halten? Es lohnt sich! Glühwein schmeckt auch kalt und gibts in ausgesuchten Getränkemärkten noch ganz hinten im Lager – oder man fährt direkt zum Erzeuger auf ein Weingut. Mit etwas Glück sieht man auch den nackten Winzer bei der Produktion des neuen Jahrgangs. Natürlich geht es auch umgekehrt: eine Luftmatratze, gekauft im Dezember – wieso nicht? Es bieten sich so viele Möglichkeiten für antizyklische Käufe, wenn man mit offenen Augen durch die Welt geht.